Doppelgängermotive im digitalen Raum

Ein Motiv setzt im Film eine Handlung in Bewegung. „Es sind immer die Motive, die inneren Gründe von Protagonisten und Umweltverhältnissen, die das Sichtbare einer Geschichte in Bewegung versetzen.“1

Ein klassisches Motiv der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte wurde mehrfach in verschiedenen studentischen Videoproduktionen der Corona-Semester 2020 - 2022 ins Zentrum der Geschichten gestellt: Das Doppelgängermotiv.

In antiken Texten wurde es eher mit dem Verwechslungsmotiv sowie physischen Ähnlichkeiten von Personen assoziiert. Ab ca. 1800, zur Zeit der literarischen Strömung der Romantik, wandelte sich die Auseinandersetzung mit dem Doppelgänger zu einer Frage der individuellen Identität, meist verbunden mit dem Anzweifeln und dem Verlust des eigenen Selbst. Diese philosophische Fragestellung entwickelte sich im 20. Jhd. zu einem der Kernthemen im boomenden Science Fiction Genre. In der Begegnung mit mythologischen Gestalten der Popkultur, wie Avataren, Androiden, elektronischen Schafen, Cyborgs und Replikanten bis zu „reinen Informationswesen, die in Datenspeichern existieren, mit Datengeschwindigkeit in digitalen Netzen reisen und sich bei Bedarf in verschiedene physische Behälter herunterladen lassen"2, die Welten von Matrix bis Meta bevölkern, wird der Mensch letztlich immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. „Der Konflikt zwischen dem Original und seinem Double und die Kollision des Realen mit dem Virtuellen werden nicht so bald aufhören“3, gab schon der französische Philosoph Jean Baudrillard im 20 Jhd. zu bedenken; oder weitergesponnen: „Rick Deckard ist unser Doppelgänger."4

In "shout" von Lukas Daude-Einholtz versucht ein Mann seinem 
digitalen Doppelgänger zu entkommen.

Für Studierende, die während der Hochzeit der Corona-Pandemie immer wieder mit „distance Learning“-Angeboten, asynchroner Lehre und Live-Seminaren per Videokonferenz im Uni-Alltag konfrontiert wurden - sich quasi mit einem „Zoom-Avatar“ durch die universitären Welten bewegen mussten - bot sich in den medienpraktischen Video-Seminaren „Filmisch Erzählen“ und „Webclips experimentell“ die Chance den eigenen oft ungefilterten Medien-Konsum dieser Tage kreativ zu begegnen.

"Digitaler Nihilismus" von Julia Kuhlmann, Kerstin Tews, Elaine-Zoe Meyer, 
Zoey Jäschke & Jessica Neugebauer dramatisiert das Suchtpotential sozialer Medien mit einer unheimlichen Begegnung der besonderen Art. 

Die Überlagerung der menschlichen Wahrnehmung, die Ängste und die Selbstvergewisserung durch virtuelle und künstlich imaginierte Artefakte in den studentischen Videoproduktionen spiegelt die unbändige Proliferation von (Bewegt-)Bildern, Images und Memes in den (sozialen) Medienräumen. In Einzelfällen wird diese Erfahrung auch weitergedacht zu einer Reflexion über künstliche Intelligenz und angereicherte/virtuelle Realitäten. Letztlich stellt sich die Frage: Was bleibt vom Menschen in einer durchdigitalisierten Welt?

„Digital aufgelöst“ von Marcus Müller & Alina Schütte erzählt von einem 
Science Fiction-Szenario, bei dem das analoge Selbst nach dem Tod einer Person in ein digitales Selbst umgewandelt wird.

Carsten Engelke, 23.02.2023

1 Vgl. Thomas Strauch, Carsten Engelke. Filme machen. 2016. Kapitel 4.

2 Vgl. Gundolf S. Freyermuth: Cyberland. Berlin. 1996. Kapitel 5.

3 Vgl. Manfred Geier: FAKE. Leben in künstlichen Welten. Mythos Literatur Wissenschaft. 1999. S.154.

4 Ebd. S.155.

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